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Wie BIOS-BW den Strafvollzug untersützt

Ein Interview mit Dr. Dirk Bruder, BIOS-Vorstand, Psychiater und Leitender Medizinaldirektor


Sabrina Sengle: Vielen Dank Herr Dr. Bruder, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben. Würden Sie sich zu Beginn für unsere Leser vorstellen und kurz darauf eingehen, was Sie mit BIOS-BW verbindet?

Dirk Bruder: Ja, gerne. Guten Tag, mein Name ist Dirk Bruder, ich bin seit 2013 im Justizvollzug Baden-Württemberg beschäftigt. Ich bin Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Psychotherapie und war bis Ende 2012 Chefarzt in einer Psychosomatischen- und Suchtfachklinik in Rheinland-Pfalz mit 140 Betten. Im Justizvollzug Baden-Württemberg bin ich zuständig für Gewalt- und Sexualstraftäter. Ich leite die Sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt in Offenburg (STO). Diese unterteilt sich in zwei Abteilungen, zum einen in eine Sozialtherapeutische Schwerpunkteinrichtung, mit 40 Behandlungsplätzen für Gewalt- und Sexualstraftäter, zum anderen in die zentrale Diagnostik und Prognostik des Landes Baden-Württemberg. In dieser Abteilung wird endverantwortlich entschieden, welche Strafgefangenen im Land Baden-Württemberg eine Sozialtherapie benötigen und wo diese absolviert werden sollte und ob anderweitiger Behandlungsbedarf besteht.

Des Weiteren berate ich fachärztlich die Sicherungsverwahrungsabteilung der JVA Freiburg mit ihren 60 Plätzen bei neurologisch psychiatrischen und forensischen Fragestellungen.


Sabrina Sengle: Können Sie unseren Lesern auch Ihre Verbindung und Ihren Bezug zu BIOS-BW erläutern?

Dirk Bruder: Ja, natürlich. BIOS-BW sehe ich beruflich sowie privat als wichtigen gesellschaftlichen Pfeiler. Nach Eintritt in den Verein kurz nach meinem Tätigkeitsbeginn im Strafvollzug Baden-Württemberg bin ich seit 2016 einer der drei geschäftsführenden Vorstände der Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS-BW).


Sabrina Sengle:Vielen Dank, können Sie in Ihrer Funktion erklären, welche Vorteile der Strafvollzug aus der Zusammenarbeit mit BIOS-BW zieht und wie sich diese unterstützenden Maßnahmen gestalten?

Dirk Bruder: BIOS-BW unterstützt den Strafvollzug in Baden-Württemberg auf vielfältige und unterschiedliche Weise durch gemeinsame Kooperationsprojekte mit der Zielsetzung einer Qualitätsverbesserung der Straftäterbehandlung und der Entwicklung gemeinsamer Qualitätsstandards und fundierter Leitlinien. Ein ganz wichtiges gemeinsames Projekt mit BIOS-BW, das mir damals auch besonders am Herzen lag, war die wissenschaftliche Evaluation der zentralen Diagnostik- und Prognostik-Abteilung mit ihren 20 Plätzen durch ein externes Institut mit entsprechender forensischer Expertise. Wir konnten damals die Forensisch psychiatrischen Dienste der Universität Bern gewinnen. Es ging darum unseren Diagnostikprozess in der STO Offenburg unter wissenschaftlich forensischen Gesichtspunkten zu analysieren und zu bewerten. Hier erhoffte ich einen aktuellen wissenschaftlich belastbaren Status Quo zur Leistungsfähigkeit der Abteilung, zum anderen wichtige Anregungen, welche Prozesse und Strukturen noch zu verbessern und zu optimieren sind. Diese Untersuchung war sehr aufwändig und ging über einen Zeitraum von insgesamt drei Monaten. Mitarbeiter der Universität Bern waren in dieser Zeit vor Ort, um die Prozesse unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu untersuchen und entsprechende Anregungen zu geben, was letztendlich zu einem Evaluationsgutachten über die Abteilung führte.


Sabrina Sengle:Das ist bereits ein sehr interessantes Projekt, können Sie weitere Beispiele nennen? Gibt es etablierte, laufende Maßnahmen mit denen BIOS-BW den Strafvollzug unterstützt? Können Sie da noch einige Beispiele aufzählen?

Dirk Bruder: Ja sicher, es gibt etliche weitere Projekte. BIOS-BW ist auch an der Fort- und Weiterbildung von Mitarbeitern im Strafvollzug beteiligt oder gestaltet einzelne Informations- und Weiterbildungseinheiten bei Tagungen und Kongressen des Strafvollzuges. Aktuell will ich hier die Durchführung der Fortbildung BPS-Schulung „Behandlungsprogramm Sexualstraftäter“ nennen. Diese Fortbildung, die mit einem Zertifikat abgeschlossen wird und sehr wichtig ist für die Befähigung mit Sexualstraftätern entsprechende Gruppentherapien durchzuführen, geht insgesamt über drei Wochen, die in jeweils drei Wochenblocks unterteilt sind. Wegen der Vielzahl der Anmeldungen von insgesamt 21 Fachdienstmitarbeitern aus verschiedenen Einrichtungen im Vollzug haben wir gemeinsam mit BIOS-BW beschlossen, sogar zwei zeitlich versetzte parallel verlaufende Veranstaltungen anzubieten. Die Räumlichkeiten stellt hier die JVA Offenburg zur Verfügung und sorgt für den reibungslosen Ablauf. BIOS-BW organisiert die Referenten und stellt die notwendigen Materialien zur Verfügung. Hier gelang es sogar, die forensischen Entwickler dieses Behandlungsmanuals aus Niedersachsen zu gewinnen, um die Schulung vor Ort durchzuführen. Diese Tatsache erspart den meisten Teilnehmern, aufwendige Dienstreisen um diese Schulungen im gesamten Bundesgebiet durchzuführen. Hier sind für die Zukunft weitere gemeinsame Schulungen geplant.


Sabrina Sengle: Das klingt sehr interessant, werden Mitarbeiter des Strafvollzuges auch individuell gefördert?

Dirk Bruder: Hier ist ein wichtiger Punkt die Unterstützung einzelner Vollzugsmitarbeiter durch den Verein. Dies stellt eine Ergänzung des bestehenden zentralen Fortbildungsangebots des Bildungszentrum Justizvollzug Baden-Württemberg dar, welches ich an diese Stelle nicht unerwähnt lassen möchte, sowie der dezentralen Fortbildungsveranstaltungen in den einzelnen Justizvollzugsanstalten. Bisher erfolgt die Unterstützung durch BIOS-BW vorwiegend des psychologischen und des Sozialdienstes bei Fort- und Weiterbildungen, die eng im Kontext mit der Straftäterbehandlung stehen. Wir prüfen jedoch auch die Unterstützung anderer Fachdienste wie des VAWs bei Weiterbildungen wie die Befähigung zum Arbeitstherapeut, die sehr wichtig sind, wenn entsprechende Mitarbeiter in Sozialtherapeutischen Einrichtungen arbeiten.


Sabrina Sengle:Würden Sie dann auch sagen, dass der Strafvollzug auch von der Expertise, der Forensischen Ambulanz Baden, einer Einrichtung von BIOS-BW, profitiert?

Dirk Bruder: Ja, ein ebenso wichtiger Punkt ist der Austausch zwischen Fachdiensten, insbesondere im psychologischen Bereich durch Hospitationen in der jeweils anderen Einrichtung mit dem Ziel, den Arbeitsbereich des anderen fundiert kennenzulernen. Durch viele gemeinsame Schnittstellen, beispielsweise der Forensischen Ambulanz Baden, mit der Sozialtherapie sind hier bereits Arbeitserleichterungen und Synergieeffekte eingetreten, weitere sind zu erwarten. Des Weiteren haben Psychologen die Möglichkeit, sich bei BIOS-BW durch entsprechende Angebote therapeutisch und gutachterlich weiterzubilden und entsprechende Expertisen bei BIOS-BW zu erwerben durch die Erstellung von Behandlungsgutachten unter Supervision. Von dieser Zusatzkompetenz profitiert wieder der Strafvollzug, insbesondere dann, wenn diese Mitarbeiter in therapeutisch forensischen Schwerpunkteinrichtungen im Vollzug wie der STO, STA, THEVA u.a. arbeiten.

Ein weiterer durch die aktuelle Rechtsprechung nicht zu vernachlässigender Punkt ist, dass die Forensische Ambulanz in Einzelfällen den Strafvollzug durch Durchführung von Therapien unterstützt, explizit da, wo interne Kapazitäten fehlen oder Straftäter empfohlene Therapien in entsprechenden therapeutischen Einrichtungen des Strafvollzuges verweigern und man somit auf externe Therapeuten zurückgreifen muss. Hier bietet BIOS-BW durch die Forensische Ambulanz Baden eben die Möglichkeit, und zwar flächendeckend, externe Behandlungen von hochproblematischen Straftätern auch im Vollzug durchzuführen. Hervorzuheben sind dabei beispielsweise auch § 119a Fälle, die sich interner Behandlung im Strafvollzug entziehen, aber explizit bereit sind, sich von externen Therapeuten behandeln zu lassen.


Sabrina Sengle:Ich frage mich ob Ihrer Meinung nach die Maßnahmen ausreichen oder noch Bedarf besteht die Unterstützung auszuweiten oder zu intensivieren.

Dirk Bruder: Festzuhalten ist, dass die Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung zwischen BIOS-BW und dem Land Baden-Württemberg bereits sehr intensiv und für beide Seiten gewinnbringend ist. Hier wünsche ich mir natürlich auch für die Zukunft eine ebenso produktive Zusammenarbeit um die gemeinsamen Aufgaben und Ziele zu erreichen. Weitere Fortbildungsprojekte sind hier ein Thema, aber auch der gegenseitige Mitarbeiteraustausch durch Hospitationen und gemeinsame Praktikas auch in Zukunft.

Auch sehe ich noch Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Bereich Qualitätsmanagement durch wissenschaftliche Evaluation von Behandlungsabteilungen und gemeinsamer Entwicklung von Therapiestandards im forensischen Bereich. Aber auch die Sensibilisierung der Fachdienste im Strafvollzug für die externe Opferarbeit soll hier nicht unerwähnt bleiben.

Abschließend lässt sich bemerken, dass BIOS-BW und der Strafvollzug des Landes Baden-Württemberg eine sehr vergleichbare innere Haltung vertreten, verbunden mit gemeinsamen Werten und Zielsetzungen: Straftäter bestmöglich zu Behandeln und damit möglichst viele Opfer in Zukunft zu vermeiden.


Sabrina Sengle: Das sind schöne abschließende Worte. Ich bedanke mich herzlich für Ihre Zeit und das interessante Gespräch, Herr Dr. Bruder.

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