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Politisches Engagement bei BIOS-BW. 

Wie wir unsere Opferschutz-Themen voran bringen: 

Zu § 246a Abs. 2 StPO

 

Zu einer erfolgreichen Behandlung gehört auch eine frühzeitige Diagnostik. BIOS-BW legte deshalb im Jahr 2009 dem Bundesministerium der Justiz das BIOS-Memorandum, nach Schweizer Vorbild, vor. In diesem wird eine im deutschen Recht bislang nur in Ausnahmefällen vorgesehene sachverständige Begutachtung gefährlicher Gewalt- und Sexualstraftäter schon in der gerichtlichen Hauptverhandlung zu der Frage gefordert, ob diese an einer psychischen Störung leiden und welche Möglichkeiten der Behandlung bestehen.

  • 17.03.2010

Anhörung von BIOS-BW im Reichstagsgebäude in Berlin. Daraus resultierende Forderung der FDP-Bundestagsfraktion nach der Einführung einer "Therapiepflicht für Sexualstraftäter".

 

  • 26.10.2011

Vorstellung des BIOS-Memorandum im Rahmen einer Sachverständigenanhörung zum STORMG (Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs).

  • 13.03. - 01.09.2013

Am 13.03.2013 verabschiedet der Deutsche Bundestag das StORMG (Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs), in welchem entsprechend des BIOS-Reformvorschlags nunmehr jedenfalls eine Begutachtungspflicht vor allem bei Sexualstraftaten zum Nachteil von Minderjährigen vorgesehen ist (§ 246a Abs. 2 StPO). Am 03.05.2013 stimmt der Bundesrat dem StORMG zu. Es trat zum 01.09.2013 in Kraft, die Regelung zu § 246a Abs. 2 StPO ist nunmehr geltendes Recht.

§ 246a Abs. 2 StPO sieht vor, dass nach Anklageerhebung oder auch bei Strafbefehlsantrag wegen einer der in § 181b StGB genannten Straftaten, wenn ein Minderjähriger das Opfer ist, frühzeitig ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten gehört werden soll, wenn die Erteilung einer Weisung in Betracht kommt, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat. Voraussetzung ist, dass die Erteilung einer Therapieweisung im Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens, der Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung, der Verwarnung mir Strafvorbehalt oder Anordnung von Führungsaufsicht in Betracht kommt. § 246a Abs. 2 StPO gilt entsprechend, wenn im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren oder nach Anklageerhebung im gerichtlichen Zwischenverfahren bzw. nach Zulassung der Anklage außerhalb der Hauptverhandlung eine Verfahrenseinstellung nach § 153a Abs. 1 S. 1 oder Abs. 2 S. 1 StPO in Betracht kommt (gilt auch in den Fällen des § 453 Abs. 1 S. 3 bzw. § 454 Abs. 4 S. 1 StPO).

 

BIOS-BW begrüßt die Einführung der Vorschrift des § 246a Abs. 2 StPO, diese sollte unserer Ansicht nach jedoch noch weitgehender ausgedehnt werden und beispielsweise nicht ausschließlich auf Minderjährige beschränkt werden, da der Sinn der Vorschrift die Klärung der Therapiebedürftigkeit des Angeklagten ist und eine Minderjährigkeit des Opfers hierbei keinerlei Rolle spielt.

 

​Verwaltungsvorschrift

 

Am 1. Juli 2017 trat die Neufassung der Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums und des Sozialministeriums zur Änderung der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift über Vorstellungs- und Therapieweisungen in forensischen Ambulanzen (ÄndVwV Forensische Ambulanzen) in Kraft.

Zwei Vorstände des Vereins, RiOLG a.D. Klaus Böhm und med. Direktor Dr. med. Dirk Bruder, gehörten der vom früheren Justizminister von Baden-Württemberg, Rainer Stickelberger, im Jahre 2015 eingesetzten Expertenkommission „Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen“ an. Im Hinblick auf die zum 1. Juli 2017 notwendig werdende Neufassung der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums und des Sozialministeriums über Vorstellungs- und Therapieweisungen in forensischen Ambulanzen vom 21. Juni 2010 galt es nunmehr, die vom Gremium gefassten Beschlüsse umzusetzen. Insoweit konnten wir in den im Jahr 2016 beginnenden Verhandlungen folgende weitreichende und heute weiterhin noch geltende Verbesserungen für den präventiven Opferschutz in Baden-Württemberg erreichen:
 

  • Grundsätzliche Pflicht des Landes zur Erstattung der Kosten der derzeit sieben Nachsorgeambulanzen für von Gerichten angeordnete therapeutische Behandlungen von abgeurteilten Straftätern (Ziffer 8.4),

 

  • Einbeziehung neben seit 2010 schon erstattungsfähigen Therapieauflagen im Rahmen der Führungsaufsicht (§§ 68 ff. StGB) von gerichtlichen Entscheidungen im Rahmen der Bewährung nach §§ 56, 57, 57a, 56c StGB, § 88 JGG (Ziffer 1.1),

 

  • Kostenrechtliche Gleichstellung von Vorstellungs- und Therapieweisungen im Rahmen der Führungsaufsicht (Ziffer 6.1),

 

  • Ausdehnung des vorbereitenden Aufnahmeverfahren auf nunmehr zwölf Sitzungen (Ziffer 4.5),

Die neue Verwaltungsvorschrift stellt einen Meilenstein in der therapeutischen Nachsorge in Baden-Württemberg dar. Für die Vollzugsanstalten besteht nunmehr nicht nur die Anweisung, im Rahmen der Beauftragung eines vorbereitenden Aufnahmeverfahrens zu klären, ob bei inhaftierten Gewalt- und Sexualstraftätern eine Indikation zur Aufnahme in eine Forensische Ambulanz besteht, sondern nunmehr ist auch bei einer ggf. dann notwendigen therapeutischen Nachsorge die Kostentragung gesichert.

 

Diese Situation hat sich durch das rückwirkend zum 1. Juli 2022 erfolgte Inkrafttreten der ÄndVwV Forensische Ambulanzen vom 2. März 2023 (Die Justiz 2023, 170) weiter verbessert, nicht zuletzt auf Initiative des Vereins, welcher im Anhörungsverfahren die notwendigen Veränderungen angetragen hat. 

 

Besonders zu nennen sind insoweit die 

 

Aufnahme jugendgerichtlicher Weisung (Ziffer 8.1 Satz 2 ÄndVwV n.F.)

Die Vorschrift lautet nun wie folgt:

Eine Kostenübernahme erfolgt auch bei folgenden gerichtlich angeordneten Weisungen für die Durchführung einer Sexual- oder Gewaltstraftätertherapie:

  • Weisung im Zusammenhang mit der Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe, einschließlich einer Weisung im Rahmen von § 61b JGG

  • Weisung des Jugendrichters als Erziehungsmaßregel, z.B. gemäß § 47 JGG sowie

  • Therapie- oder Vorstellungsweisung bei Verfahrenseinstellung nach § 153a Abs. 2 StPO.

Dadurch erfasst werden alle ausdrücklichen Therapieweisungen (aber keine Beratungsgespräche) des Jugendrichters, nicht jedoch staatsanwaltschaftliche Verfügungen. Damit wird eine erhebliche Lücke im Rahmen der therapeutischen Nachsorge geschlossen, denn der Bedarf an therapeutischen Angeboten im Jugendbereich ist enorm und kann nunmehr von BIOS verbessert werden, sei es durch BIOS-Youngsters, wenn die Klienten*innen bei Eingang des Behandungsauftrages jünger als 18 Jahre sind, sei es durch die Aufnahmeabteilung der FAB, wenn die Klienten bei Eingang des Behandlungsauftrages älter als 18 Jahre sind.

Aufnahme von fernmündlichen und audiovisuellen Therapien (Ziffer 8.7 Satz 3 ÄndVwV n.F.).
Insoweit stellt die ÄndVwV n.F. zwar ausdrücklich klar, dass Therapien grundsätzlich in Präsenz wahrzunehmen sind, sie erlaubt jedoch nunmehr ausdrücklich, dass fernmündliche und audiovisuelle Therapien als Ersatz bzw. Ergänzung zulässig sind, sofern hierfür Gründe in der zugewiesenen Person selbst (z.B. Entfernung des Wohnortes zum Sitz der Ambulanz) oder im Therapieinhalt (z.B. schambesetzte Inhalte der Tataufarbeitung) vorliegen. Damit trägt das Justizministerium Baden-Württemberg den Erfahrungswerten der FAB Rechnung, nach denen sich eine solche alternative Möglichkeit durchaus bewährt hat.

BIOS-BW und Landespsychotherapeutenkammer BW bei der Landespressekonferenz

 

Die Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg und die Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS-BW) e.V., die bereits eine Traumaambulanz in Karlsruhe mit Außenstellen in Pforzheim und Heilbronn unterhält, fordern bei der Landespressekonferenz am 09.09.2022, das Thema „Versorgungsangebote für Betroffene von Gewalt- und Sexualstraftaten“ stärker zu fokussieren und mit dem Aufbau besserer Versorgungsstrukturen hinsichtlich Traumaambulanzen sofort zu beginnen sowie bürokratische Hürden für Betroffene von Gewalt- und Sexualstraftaten sukzessive abzubauen.

Klaus Böhm, Richter am OLG a.D., sprach im Rahmen der am 9. September 2022 im Medienzentrum des Landtags von Baden-Württemberg durchgeführten Pressekonferenz als 1. Vorsitzender von BIOS-BW: „Opfer- von Gewalt und Sexualstraftaten haben in Baden-Württemberg keine wirkliche Lobby“. Zwar sei mit Unterstützung der Bundestagsabgeordneten Katja Mast das SGB XIV neu geschaffen und dort sog. Traumaambulanzen formal eingeführt worden, doch sei dieser Meilenstein in der Opferversorgung durch den Gesetzgeber denkbar ungünstig gesetzlich gefasst worden, sodass große Verunsicherung in Bezug auf die Umsetzung des SGB XIV herrsche. Dies habe zur Folge, dass sich aktuell, sowohl in Baden-Württemberg als auch in anderen Bundesländern, niemand dafür zuständig fühle, die notwendigen Versorgungstrukturen aufzubauen. Es sei wichtig, mit dem Aufbau schon heute und nicht erst im Jahr 2024 zu beginnen, um eine ausreichende Anzahl von Traumaambulanzen und eine ausreichende Versorgung in der Fläche zu ermöglichen.

Der therapeutische Leiter des Opferbereichs von BIOS-BW und damit auch der Opfer- und Traumaambulanz des Vereins, Prof. Dr. Thomas Hillecke, führte in der Pressekonferenz aus, dass es sich bei interpersonellen Traumatisierungen durch Gewalt- und Sexualstraftaten um einschneidende Erfahrungen für die Geschädigten handle. „Gewalt- und Sexualstraftaten können nicht nur zu einer akuten Belastung, sondern im weiteren Verlauf häufig zu schwerwiegenden und langanhaltenden psychischen Beeinträchtigungen mit hohen Folgekosten für die Gesellschaft führen“, so Hillecke. Aufgabe der durch das SGB XIV eingeführten Traumaambulanzen sei die Verhinderung einer solchen psychischen Gesundheitsstörung. Insoweit seien frühe Interventionen in Traumaambulanzen sinnvoll, zumal schon wenige Sitzungen helfen können.

Der Präsident der Landespsychotherapeutenkammer, Dr. Dietrich Munz, legte in der Pressekonferenz dar, dass die oft extreme psychische Belastung nach einer Traumatisierung keine Krankheit sei, sondern Teil der Traumabewältigung. „Dafür benötigen Betroffene rasche und niederschwellige Hilfe, welche von niedergelassenen PsychotherapeutInnen i.d.R. nicht sichergestellt werden kann“, betonte Munz. In der frühen Bewältigungsphase könne auch keine Diagnose einer psychischen Erkrankung gestellt werden. Deshalb sei diese erste Hilfe auch keine Krankenkassenleistung. Dies sei erst der Fall, wenn sich eine psychische Störung entwickle. Das Eintreten einer solchen Erkrankung solle durch die Behandlung in der Traumaambulanz verhindert werden.

 

Der ärztliche Leiter der Klinik in Karlsbad-Langensteinbach und assoziiertes Vorstandsmitglied der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT), Dr. Gustav Wirtz, betonte in der Pressekonferenz abschließend, dass Traumaopfer nicht stigmatisiert werden dürfen. Sie dürften nicht das Gefühl bekommen „verrückt“ zu sein. Deshalb müssten Traumaambulanzen einfach und niederschwellig zugänglich sein. „Die Anbindung an psychiatrische Kliniken - wie in Baden-Württemberg häufig der Fall - kann den Zugang zum Hilfsangebot erschweren“, so Wirtz. Auch müssten TraumatherapeutenInnen spezifisch geschult sein. Dafür sei es notwendig, Ausbildungscurricula festzulegen, wie es z.B. die DeGPT anbiete - eine Fortbildung, die aktuell auch von der BIOS-Akademie durchgeführt werde. „Wir benötigen auch in Baden-Württemberg, entsprechend der gesetzlichen Vorgabe, eine flächendeckende Versorgung mit Traumaambulanzen, sodass eine solche für die Bürger in 50 bis 100 km erreichbar ist“, führt der leitende Arzt weiter aus. Dazu sei bereits jetzt die aktive Unterstützung der Initiativen und Hilfsorganisationen durch das Sozialministerium in Stuttgart als oberste Landesbehörde notwendig.

Pressestimmen hierzu, u.a.:

https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/versorgungsluecke-opfer-von-gewalt-und-sexualstraftaten-100.html

https://www.welt.de/regionales/baden-wuerttemberg/article240956627/Kritik-an-Versorgungslage-fuer-Opfer-von-Sexualstraftaten.html

https://www.n-tv.de/regionales/baden-wuerttemberg/Kritik-an-Versorgungslage-fuer-Opfer-von-Sexualstraftaten-article23578922.html

https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-stuttgart-kritik-an-versorgungslage-fuer-opfer-von-sexualstraftaten-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220909-99-693831

https://www.zeit.de/news/2022-09/09/kritik-an-versorgungslage-fuer-opfer-von-sexualstraftaten?utm_referrer=https%3A%2F%2Ft3d2338d2.emailsys1a.net%2F 

 

Am 5.7.2017 ist das Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg vom Juli 2017 – Die Justiz – erschienen, in welchem die Neufassung der zum 01.07.2017 gültigen Verwaltungsvorschrift abgedruckt ist (Fundstelle: Die Justiz 2017, 246 ff.).

 

f12a8f_96c7f38d310b49689bb31a48a7b612ea.pdf (wixstatic.com)

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