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Opferschutz durch Therapie

Ein Beitrag von Dr. Heinz Scheurer


Immer wieder ist in Medienberichten, insbesondere in den letzten Jahren, zu lesen, dass Gerichte Freiheitsstrafen gegen Straftäter wegen gewalttätigen oder sexuellen Übergriffen an Opfern zur Bewährung aussetzen oder aber abgeurteilte Straftäter vorzeitig aus der Haft entlassen. In solchen Fällen wird oftmals eine therapeutische Betreuung bzw. Nachsorge unerlässlich sein, denn diese dient dem präventiven Opferschutz.

Opferschutz bedeutet nämlich auch, das Rückfallrisiko von Straftätern zu senken, die Straften begangen haben und aus dem Gefängnis entlassen wurden bzw. bei denen die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach Auswertung einer Vielzahl von Wirksamkeitsuntersuchungen gilt, dass eine therapeutische Behandlung die Rückfälle von Sexualstraftätern reduzieren kann. Dies gilt insbesondere gerade auch für schwere Rückfälle (Zusammenfassend siehe Lösel 2014. Evaluation der Straftäterbehandlung, in Bliesener et al. Hrsg. Lehrbuch der Rechtspsychologie, S. 529-5559). So zeigte die Metaanalyse von Schmucker und Lösel (2017) bei der Therapiegruppe eine Rückfallrate von 10,1 % und bei der Kontrollgruppe 13,7 % und war, mit einer Rückfallreduktion von 26 % signifikant, und damit bedeutend. Wichtig für den Erfolg einer Straftätertherapie ist, dass diese „state of art“ (lege artis) nach den für die forensischen Therapie überprüften und anerkannten therapeutischen Prinzipien und Strategien verläuft, wie Beachtung des RNR (Risk-need- responsivity)- Modells, Bearbeitung deliktrelevanter Faktoren und Risikomanagement. Auch die bekannte Evaluierung einer solchen therapeutischen Nachsorge am Beispiel der bereits 2005 gegründeten Forensischen Therapeutischen Ambulanz (FTA) in Berlin deutet – bei einer differenzierten wissenschaftlichen Auswertung - auf eine erhebliche Wirksamkeit der therapeutischen Behandlung hin. Nach der Studie von Sauter/Voss/Dahle (abgedruckt: Nervenarzt 2014, 1 ff.) war das Rückfallrisiko von behandelten, entlassenen Straftätern bei der therapeutischen Betreuung - bei einer differenzierten multivarianten Auswertung - um 85% geringer als bei Entlassenen ohne Behandlung. Bei diesen wurde mehr als jeder zweite bald wieder angezeigt (59%), bei den therapeutisch Begleiteten gab es hingegen kaum Strafanzeigen. Weiter wurde deutlich, dass die nachhaltige Sicherung eines straflosen Lebens eine sehr lange Betreuung erfordert. Auch hierauf deutet die Berliner Untersuchung hin. Dort wurden entlassene Strafgefangene nämlich nur zwei Jahre lang behandelt. Danach stieg die Rückfälligkeit der Straftäter jedoch wieder deutlich an, weshalb die Behandlungsdauer zwischenzeitlich erhöht worden ist. Aktuell liegen weitere Untersuchungen hierzu vor. Nach Lösel (Entwicklungspfade der Straftäterbehandlung: skizzierte Wege und Evaluation der Zielerreichung. Forens.Psychiat., Psychol Kriminol, 14: 35-49, 2020) wird mit dem Ausbau ambulanter Behandlungseinrichtungen für entlassene Gefangene derzeit ein wichtiger Schritt in Richtung Rückfallprävention unternommen. Danach erzielen insbesondere kognitiv-verhaltenstherapeutische Programme in kontrollierten Evaluationen überwiegend positive Effekte. Eine Analyse von Metaanalysen zur Sexualtäterbehandlung ergab sogar im ambulanten Kontext bessere Effekte als im stationären Kontext. Diese Erkenntnisse decken sich vollständig mit den Erfahrungen der beiden Ambulanzen der Behandlungsinitiative Opferschutz, der Forensischen Ambulanz Baden (FAB) und der Psychotherapeutischen Ambulanz Koblenz (PAKo). In beiden Bundesländern (Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) scheitert eine rückfallpräventive und damit opferschützende Behandlung weder an fehlenden Behandlungsplätzen noch an den Kosten einer solchen therapeutischen Intervention, welche von Straftätern selbst – die Krankenkassen kommen dafür nicht auf – im Regelfalle nicht getragen werden können. Die am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Neufassung der „Gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums und des Ministeriums für Soziales und Integra­tion über Vorstellungs- und Therapieweisungen in Forensischen Ambulanzen“ vom 21. Juni 2010 in Baden-Württemberg (Änd-VwV Forensische Ambulanzen) sowie das ebenfalls neu gefasste Rundschreiben des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 30. April 2019 (3226-4-20) über die „Kosten ambulanter Sexual- und Gewalt­straf­täter­therapien aufgrund gerichtlicher Weisung aus Rheinland-Pfalz“ stellen insoweit Meilensteine im präventiven Opfer­schutz dar. Beiden Regelungen ist gemeinsam, dass

  • eine grundsätzliche Pflicht des Landes zur Erstattung der Kosten von anerkannten Nachsorgeambulanzen für von Gerichten angeordnete, thera­peu­tische Behandlungen von abgeurteilten Straftätern besteht, soweit eine solche Weisung im Rahmen,

  • einer Bewährungsentscheidung (§§ 56, 57, 57a, 56c StGB, § 88 JGG),

  • der Anordnung von Führungsaufsicht (§ 68 ff. StGB) ergeht und

  • die Behandlung für die Klienten im Regelfalle kostenfrei ist.

Sie unterscheiden sich allerdings insoweit, als in

  • Baden-Württemberg die Forensische Ambulanz auch schon während der Haft durch die Vollzugsanstalt mit der Prüfung einer späteren Aufnahme in die Nachsorge beauftragt werden soll, sei es durch Erstellung eines Behandlungsgutachtens, sei es durch zwölf probatorische Sitzungen und

  • Rheinland-Pfalz die Kosten einer Behandlung auch bei Weisungen des Jugend­richters als Erziehungsmaßregel (z.B. gemäß § 47 JGG), bei einer Verfahrens­einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO und vor allem auch die Kosten der An- und Abreise zum Therapieort übernommen werden.

Zur Aufnahme einer für den Straftäter im Regelfalle kostenfreien Nachsorgebehandlung in der Forensischen Ambulanz Baden (FAB) oder in der Psychotherapeutischen Ambulanz Koblenz (PAKo) reicht nach diesen verwaltungsrechtlichen Vorgaben eine richterliche Weisung der Aufnahme einer Behandlung in der Ambulanz aus. Sowohl die in Baden-Württemberg gültige Verwaltungsvorschrift als auch das für Rheinland-Pfalz geltende Rundschreiben finden Sie hier:




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