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NDR Dokumentation "Schutzlos: Sexuelle Gewalt gegen Kinder"

BIOS-BW im Rahmen der Dokumentation im Fernsehen.



Hier nun abgedruckt: Einzelne Textpassagen aus der Dokumentation, welche auch die Aussagen eines Patienten von BIOS-BW (Herrn M.) enthalten.


Folge 1 I Die Tat


Sebastian Bellwinkel: Wir bekommen Kontakt mit einem ehemaligen Täter, der bereit ist, mit uns zu sprechen. Herr M. möchte nicht erkannt werden, wir geben ihm diesen Namen. Er hat ein schlafendes Kind im Intimbereich berührt und davon Fotos gemacht. Sein Urteil, 2 Jahre und 6 Monate Gefängnis. Herr M. hat eine sogenannte pädophile Nebenströmung. Das heißt, er fühlt sich sexuell zu Frauen aber eben auch zu Kindern hingezogen.


Herr M: „Es ging um ein Kind. Um ein Mädchen im vorpubertären Alter das öfter zuhause zu besuch war und auch des Öfteren übernachtet hat.


Sarah Allard (Psychologische Psychotherapeutin bei BIOS-BW): „Als wir mit der Therapie begonnen haben, damals in Haft, war es das erste Mal, dass Sie zumindest einmal angefangen haben, sich mit der Thematik auch auseinanderzusetzen und mit jemandem darüber zu sprechen.“


Herr M.: „Man wusste ja oder ich wusste, dass ich ein Problem diesbezüglich habe. Man konnte sich ja niemandem anvertrauen und das heißt, man hat das jahrelang irgendwo mit sich herumgetragen. Und ob Sie mir das glauben oder nicht, als ich dann ins Gefängnis kam und verurteilt wurde, sind da so viele Steine vom Herzen gefallen. Das war irgendwo pure Erleichterung, weil ich in dem Moment dann nichts mehr verstecken musste.


Sebastian Bellwinkel: Pädophilie, die Neigung gilt als nicht heilbar. Durch gezielte Therapien kann Tatgeneigten geholfen werden, sagt die Wissenschaft. Nicht jeder verurteilte Täter ist pädophil, erklärt uns Sarah Allard. „Wer sind die Menschen, die sich an Sie wenden?“


Sarah Allard: „Als erstes wäre da vielleicht einmal etwas in die Statistik zu gehen. Es gibt verschiedene Untersuchungen, die Statistik ist sich da auch nicht immer ganz einige aber zwischen 60 und 80 Prozent dieser Übergriffe, die an Kindern verübt werden, passieren gar nicht auf Grundlage einer pädophilen Neigung. Das heißt im Umkehrschluss, lediglich 20 bis 40 Prozent passieren vor einem pädophilen Hintergrund bzw. vor dieser Präferenzstörung und das heißt wir haben den Großteil dieser Menschen, die übergriffig geworden sind, die das tuen weil sie keine andere Alternative haben. Weil sie beispielsweise keine Möglichkeit sehen, mit gleichaltrigen Frauen in Kontakt zu treten oder Nähe zu suchen und dergleichen.


Sebastian Bellwinkel: Oft gibt es die wichtige Therapie erst nach der Haftzeit. Klaus Böhm, als ehemaliger Richter hat er viele Straftäter gesehen. Er will Übergriffe durch frühzeitige Therapien verhindern, hat dafür eine Initiative gegründet.


Klaus Böhm (1. Vorstandsvorsitzender BIOS-BW): „Auch eine Therapie ist kein Wunder aber Risikomanagement kann Straftaten verhindern und ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir die Hälfte der Rückfallgefahr reduzieren können und für viele Menschen stellt sich einfach nur die Frage, wohnt neben mir ein behandelter oder ein unbehandelter Sexualstraftäter‘ und bei einem behandelten Sexualstraftäter hat man das Risiko eines Rückfalls im Griff.“


Sebastian Bellwinkel: Er fordert seit 2009 Straftäter schon im Gerichtsverfahren zu beurteilen. Das würde helfen ihr Rückfallrisiko zu senken. Wird aber immer noch nicht gemacht.


Klaus Böhm: „Weil sich das Gericht vornehmlich auf die Frage der Schuldfähigkeit konzentriert. Die Frage der Behandelbarkeit von Tätern wird sehr oft hinterfragt, wenn es um Alkohol geht oder wenn es um Schuldunfähigkeit geht, dann wird hinterfragt aber beim normalen Straftäter, der voll schuldfähig die Tat begangen hat, ist es eigentlich nach wie vor, mangels gesetzlicher Grundlage, kein Gesichtspunkt, der im normalen Strafprozess eine Rolle spielt.

Folge 2 I Der Kampf


Sebastian Bellwinkel: Auch Herr M. hat Fotos von dem Kind gemacht das er missbraucht hat. Die Bilder hat er aber nicht weitergegeben, sagt er. Das hat ihm auch das Gericht zugutegehalten. In seiner Therapie arbeitet er die Straftat auf und er redet mit uns darüber. „Haben Sie denn vor der Tat schon aktiv im Netz nach Abbildungen von Kindern oder Mädchen im vorpubertären Alter gesucht?“


Herr M.: „Ja, das habe ich. Man muss sich das aber so vorstellen, dass war jetzt kein Lebensinhalt oder eine tagtägliche Suche. Es konnte aber durch aus sein, ein- zweimal im Monat, wenn man vor dem Computer saß, dass man dann auch aktiv gesucht hat, ja.

Folge 3 I Die Folgen


Sebastian Bellwinkel: Sexuelle Gewalt gegen Kinder könnte verhindert werden, würden Täter z.B. rechtzeitig therapiert. Aber nicht einmal in der Haft wird für Täter zwangsläufig eine Therapie angeordnet. Der ehemalige Richter Klaus Böhm hat genau aus diesem Grund die Initiative BIOS-BW gegründet.


Klaus Böhm: „Sehr verstärkt hat sich in den letzten Jahren, auch das muss man sagen, aufgrund von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes oder des europäischen Gerichtshofes, die Konzentration auf hochgefährliche Menschen, die schon sehr viele Straftaten begangen haben. Ich finde das gut aber der Ansatz von BIOS-BW wäre eher gewesen, schon zu Beginn einer kriminellen Karriere, therapeutische Angebote zu machen und nicht abzuwarten bis jemand drei bis viermal wegen sexuellen und körperlichen Übergriffen verurteilt wurde und dann mit voller Kraft therapeutische Maßnahmen anzuordnen."


Sebastian Bellwinkel: „Warum sind wir beim Verständnis für die Therapie von Tätern immer noch nicht wesentlich weiter in Deutschland?“


Klaus Böhm: „Ich denke, dass das System träge ist. Dieses Verständnis, das Tätertherapie auch Opferschutz ist, das ist noch nicht allgemein durchgedrungen. Dass Sie durch eine gute deliktorientierte Therapie auch Straftaten verhindern können und damit viel menschliches Leid verhindern können und eben eine Therapie für einen Straftäter oder einen potenziellen Straftäter kein Wellness-Programm ist."


Sebastian Bellwinkel: Und so bleiben viele unbehandelt. Einigen hat BIOS-BW helfen können. Wie Herrn M., dessen richtigen Namen wir nicht nennen. Er hat schon im Gefängnis psychologische Betreuung angeboten bekommen. Nach seiner 2,5jährigen Haft ist er noch immer in Therapie.


Herr M.: „Man bekommt nie aus dem Kopf was man gemacht hat und wem man alles damit Schaden zugefügt hat. Ich habe oft darüber nachgedacht. Das hört sich jetzt vielleicht wirklich total banal und blöd an, aber wenn ich nur die Zeit zurückdrehen könnte. Kann ich nicht. Habe ich keine Möglichkeit dazu. Das sind Gedanken, da werde ich mein ganzes Leben mit leben müssen, mit dem was ich getan habe und mit den Konsequenzen. Das ist was, das kann man auch nicht einfach vergessen oder aus dem Kopf herausbekommen."


Sebastian Bellwinkel: “Wieso haben Sie sich entschlossen mit mir über Ihre Geschichte zu sprechen?“


Herr M.: „Seit ich die Tat begangen habe, habe ich so oft darüber nachgedacht und ich hätte alles am liebsten ungeschehen gemacht. Wenn ich jetzt damit, dass ich hier sitze, nur einen potenziellen Täter davon abhalten kann, indem er sich z.B. rechtzeitig in Therapie begibt und damit nur einem einzigen Opfer das Leid erspare, dann hätte ich eigentlich mein Ziel erreicht.“


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