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Grußwort zum 3. BIOS Opferschutztag - Oberkirchenrätin Uta Henke spricht bewegende Worte zum Thema t

Grußwort zum 3. BIOS Opferschutztag

Trauma und die Folgen – Perspektiven für Diagnostik und Therapie Sehr geehrter Herr Böhm, sehr geehrter Herr Dr. Wirtz, sehr geehrte Frau Lisbach, sehr geehrter Herr Marvi, sehr geehrter Herr van Eyb, sehr geehrter Herr Kappes, sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zu dieser Tagung. Ihnen, Herr Böhm, sage ich herzlichen Dankfür Ihre einleitenden Worte. Sie sagten, dass Sie stolz sind, mit uns zusammenzuarbeiten und ich darf ergänzen, dass auch wir, als evangelische Landeskirche, stolz auf unsere langjährige Zusammenarbeit mit Ihnen und BIOS sind.


Wenn Sie heute über die komplexen – und transgenerationalen – Auswirkungen von Traumatisierungen sprechen werden, dann wird es nicht nur um die vielfältige, furchtbare, erschütternde Art und Weise gehen, in der einzelnen Menschen Gewalt angetan wurde. Jedes Trauma bedeutet zwar zuerst und vor allem individuelles Leid, aber: Jeder Mensch lebt auch in einem sozialen Gefüge; jede Traumatisierung erfolgt auch in einem Kontext; alles, was einer Person widerfährt, berührt und prägt auch das Leben von vielen anderen Menschen. Und das heißt: Dieses Thema betrifft uns alle. Wir alle sind mit Menschen in Kontakt – sei es beruflich oder privat –, die in ihrer Biografie traumatische Erlebnisse hatten, und ich halte es für sehr wichtig, den Blick darauf hin zu weiten. Den Blick zu weiten, das bedeutet, zu lernen, die vielfältigen Formen von Gewalt, Grenzüberschreitungen und Verletzungen in ihren unterschiedlichen Formen wahrzunehmen, die uns und unsere Familien, Freundinnen, Freunde, Bekannte, Kolleginnen und Kollegen geprägt haben – nicht nur die direkt Betroffenen, sondern auch alle, die es miterleben, mit ertragen, mit erleiden mussten oder müssen.


Die bis heute wirksamen Folgen des 2. Weltkrieges betreffen nahezu alle Familien, aber das ist nur ein Beispiel von vielen: die früher üblichen Bestrafungen in der Schule und zu Hause, der berühmt-berüchtigte Rohrstock, die Ohrfeigen, das In-der-Ecke-Stehen, die im Sportunterricht beliebte Vorgehensweise, den schlechtesten Schüler die Übung vormachen zulassen, den schlechtesten Deutschaufsatz selber vorlesen zu müssen, dieTrennung von Kindern in der Klinik von ihren Eltern (Besuche waren nur 2x in der Woche erlaubt, und dann war der Kontakt nur durch eine Scheibe gestattet). Hinzu kommen all die vielfältigen Formen von Gewalt oder Vernachlässigung in den Familien, von denen rein körperliche Gewalt nur eine Form ist. Mobbing, Cyber-Mobbing, oder Beleidigungen, die in dem Begriff „Du Opfer“ gipfeln, haben inzwischen gesamtgesellschaftliche Verbreitung gefunden. Auch die Ausgrenzung von Menschen aus unterschiedlichstenGründen ist wieder gesellschaftsfähig geworden. Dabei bewegen sich viele der genannten Handlungen unterhalb der Strafrechtsgrenze (werden also strafrechtlich nicht verfolgt oder sanktioniert), obwohl sie das erklärte Ziel haben oder hatten, die Betroffenen öffentlich zu strafen, zu demütigen, zu verletzen und der Lächerlichkeit preiszugeben. Sie werden/wurden gezielt eingesetzt, und zwar oft in dem Glauben, das Richtige zu tun.


All dies ist in unserem kollektiven Gedächtnis gespeichert und aktuell in unserer Gesellschaft vorhanden. Und all dies hat heute, im Hier und Jetzt, Auswirkungen auf uns alle. Wenn heute vielfach vom fehlenden gesellschaftlichen Zusammenhalt gesprochen wird, dann könnte eine mögliche Ursache die hohe Anzahl von traumatisierten Menschen in unserer Gesellschaft sein, und dazu zählen eben nicht nur die, die direkt von Krieg, Vertreibung und Gewalttaten betroffen sind.


Wie können wir das nun langfristig verändern? Wie können wir eine Sensibilitätentwickeln für seelische Verletzungen? Wie kommen wir zu einer Umkehr?


Ich glaube, wir benötigen eine neue Kultur des Respekts, der Anerkennung und der Würde. Ein Blick ins Grundgesetz macht uns unsere Aufgabe und Verantwortung sichtbar und weist den Weg. In Art. 1 GG heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dies ist die Basis. Dies haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes formuliert in Anbetracht der unzählbaren furchtbaren Verbrechen und des bis heute teilweise unaussprechlichen Leides während, aber auch nach der Zeit des Nationalsozialismus. Sie haben dies getan mit den Worten: „In Verantwortung vor Gott und den Menschen“ und damit sozusagen eine juristische Formulierung gefunden für die Worte Jesu: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Dies war und ist revolutionär. Dahinter steht ein Menschenbild, das davon ausgeht, dass in jedem Menschen ein Innerstes steckt, welches das Wesen des Menschseins an sich ausmacht, etwas Heiliges. Viel zu oft ist es von Dunkelheit, Beton, Leid, Gewalt und Schuld so umgeben,dass kein Zugang mehr möglich ist. Aber mit Hilfe, mit therapeutischer Unterstützung, kann es gelingen, wieder dahin vorzudringen. Es ist ein schwieriger, ein anstrengender, aber ein lohnender Weg. Wenn Kontakt zu unserem Innersten (zu unserer Seele), oder mitanderen Worten zu unserem heiligen Kern, wiederhergestellt werden konnte, dann ist auch Veränderung möglich. Die Bibel ist voll von solchen Berichten. Sprichwörtlich ist die Wandlung von Saulus zum Paulus. Bei Saulus war es die direkte Erfahrung von Gottes unermesslicher Kraft, die seine grundlegende Veränderung bewirkte. Eine solche Erfahrung haben in dieser Dimension nur wenige gemacht – in anderen Zusammenhängen, wie zum Beispiel in einer Therapie, da bin ich überzeugt, jedoch durchaus viele.

Sie beschäftigen sich nun hier und heute nicht mit religiösen Fragen, sondern mit den therapeutischen Möglichkeiten der Unterstützung von traumatisierten Menschen, aber es gibt da doch eine Gemeinsamkeit: die Überzeugung: Veränderung ist möglich. Wege dahin sind Ihr heutiges Thema. Ich danke Ihnen allen, dass Sie sich mit diesen Themen intensiv auseinandersetzen, und wünsche Ihnen für Ihre Tagung gutes Gelingen. Uta Henke Oberkirchenrätin

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