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13 Jahre Forensische Ambulanz Baden - Interview zu Deutschlands größter forensischer Ambulanz

Ein Interview mit den Mitgliedern der therapeutischen Leitung Dipl. Psych. Michaela Stiegler und Dr. Heinz Scheurer



Sabrina Sengle: Heute zu Gast für ein Interview sind zur Feier des 13-jährigen Jubiläums der Forensischen Ambulanz Baden (FAB) Michaela Stiegler und Dr. Heinz Scheurer, beide Mitglieder der therapeutischen Leitung.

Vielen Dank, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Zur ersten Frage: Können Sie sich für die Leser kurz vorstellen und dabei auf Ihre Funktion bei BIOS-BW eingehen sowie einige Eckpunkte aus Ihrem Werdegang integrieren, die sich auf Ihre aktuelle Funktion beziehen?


Dr. Heinz Scheurer: Mein Name ist Heinz Scheurer, ich bin Diplompsychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Ich habe bei BIOS-BW im Jahre 2007 als extramuraler Psychotherapeut auf der BAGS in der JVA Mannheim begonnen. BAGS bedeutet „Behandlungsabteilung für Gewalt- und Sexualstraftäter“. Hier haben wir, orientiert am BPS (Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter), Gruppentherapien, die über zwei Jahre gingen, durchgeführt, aber auch einzeltherapeutische Gespräche. Als 2008 die Forensische Ambulanz Baden (FAB) gegründet wurde, bin ich als dritter Psychotherapeut, nach Herrn Markus Klein als therapeutischem Leiter und Herrn Sauter, der im ZfP (Psychiatrisches Zentrum Nordbaden) in Wiesloch gearbeitet hatte, eingestiegen. Wir haben damals in erster Linie Strafgefangene in Haft therapiert.

Wenn ich schon einmal ein wenig auf die Entwicklung von BIOS-BW und der FAB zu sprechen kommen darf. Wichtig war damals das Jahr 2010, als die erste Verwaltungsvorschrift vom Justizministerium und Sozialministerium gekommen ist, in der die Forensische Ambulanz Baden und die Forensische Ambulanz Stuttgart als offizielle Nachsorgeeinrichtungen für Strafgefangene etabliert wurden und in der auch die Finanzierung der Führungsaufsichtsfälle geregelt wurden. Damit hatten wir eine solide Grundlage, um unsere Klienten therapeutisch zu versorgen. Ein weiterer Meilenstein wurde 2017 mit der Aktualisierung der Verwaltungsvorschrift gesetzt. Hier wurden Bewährungsfälle zusätzlich aufgenommen.

Seit einigen Jahren bin ich in der Nachfolge von Markus Klein therapeutischer Leiter. Mittlerweile haben wir ein ganzes Leitungsteam. Ich persönlich betreue noch einige wenige Klienten[1], in erster Linie von der JVA Bruchsal, dann nehme ich Leitungsaufgaben wahr, führe Fortbildungen durch, nehme an der Intervision teil und bin im Süddeutschen Institut für forensische Begutachtungen beteiligt.


Michaela Stiegler: Mein Name ist Michaela Stiegler, ich bin ebenfalls Diplompsychologin, Psychologische Psychotherapeutin und seit Ende 2012 in der Forensischen Ambulanz Baden, ursprünglich regulär als Psychotherapeutin angestellt gewesen. Die FAB war damals noch sehr klein. Es war eine Truppe von drei, vier Festangestellten. Ich habe damals leidenschaftlich Nachsorgetherapien durchgeführt, habe Täter mit Führungsaufsicht oder auf Bewährung betreut, habe gerne auch mit Strafgefangenen gearbeitet, und irgendwann hat es sich so ergeben, dass ich immer mehr Leitungsthemen übernommen habe: Vor allem das Einlernen neuer MitarbeiterInnen, die Korrespondenz mit den Gerichten und den Kooperationspartnern, natürlich auch die Weitergabe von Arbeitsanweisungen etc. Jetzt sind wir mittlerweile ein recht großes Leitungsteam. In letzter Zeit habe ich nur noch drei, vier Klienten aktiv in Therapie und konzentriere mit auf Personal, Organisation, Sicherheitsabteilung, Berichtswesen und aktuelle Anfragen des Teams.

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„Wir betreuen im Jahr gut 500 Klienten und sind damit die größte forensische Ambulanz der Bundesrepublik Deutschland. Der Schnitt der Fallzahlen von sonstigen forensischen Ambulanzen liegt bei 50 bis 60 Klienten pro Jahr.“

Dr. Heinz Scheurer


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Sabrina Sengle: Was zeichnet die Forensische Ambulanz Baden aus? Was unterscheidet Ihre Einrichtung von anderen forensischen Ambulanzen?


Dr. Heinz Scheurer: Forensische Ambulanzen wurden ja 2007 mit einem neuen Gesetz als Nachsorgeeinrichtungen etabliert. Seitdem gibt es forensische Ambulanzen des Strafvollzugs und des Maßregelvollzugs in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. In Baden-Württemberg gibt es zwei forensische Ambulanzen für den Strafvollzug. Die eine ist in Stuttgart bei der Bewährungshilfe angesiedelt und die andere ist unsere, hier in Karlsruhe, mit verschiedenen Stützpunkten.

Zur Abgrenzung und Differenzierung unserer forensischen Ambulanz: Wir haben in Karlsruhe unseren zentralen Stützpunkt, aber wir haben unterschiedliche Behandlungsstützpunkte, aktuell 14, verteilt über Baden und teilweise auch ins Württembergische hineingehend. Im Gegensatz zu vielen anderen forensischen Ambulanzen haben wir ein sehr breites Angebot und breitgefächertes Klientel. Wir haben, wie auch andere forensische Ambulanzen, Führungsaufsichtsfälle und Bewährungsfälle, aber wir betreuen auch Strafgefangene. Zudem unterhält BIOS-BW weitere Einrichtungen für weitere Klientengruppen, die nicht ausschließlich für Strafgefangene gelten, wie die „Youngsters“ für Kinder- und Jugendliche, das Gutachteninstitut (SIG), die zwei Präventionsprojekte für sogenannte „Tatgeneigte“, das Krisentelefon, das Psychosoziale Zentrum oder die Opfer- und Traumaambulanz.

Unsere Führungsaufsichts- und Bewährungsfälle sind in erster Linie Klienten, die Sexualdelikte begangen haben. Hier ist die größte Häufigkeit der sexuelle Missbrauch, aber wir haben auch Klienten, die sexuelle Nötigungen oder Vergewaltigungen begangen haben. Kinderpornografie spielt in der Zwischenzeit eine ganz große Rolle, dazu bekommen wir vermehrt Klienten. Es gehört auch ein wenig zu der forensischen Ambulanz dazu, dass wir Personen betreuen, die wir als „Tatgeneigte“ bezeichnen. Personen also, die keine Straftaten begangen haben, die aber aufgrund von Neigungen evtl. Straftaten begehen könnten. Zu diesen Neigungen gehören auch einige sexuelle Präferenzstörungen, als Beispiel insbesondere die Pädophilie. Wir betreuen im Jahr gut 500 Klienten und sind damit die größte forensische Ambulanz der Bundesrepublik Deutschland. Der Schnitt der Fallzahlen von sonstigen forensischen Ambulanzen liegt bei 50 bis 60 Klienten pro Jahr.


Michaela Stiegler: Ja, sicherlich auch die Therapielänge der Fälle sowie die dezentrale Struktur. Ich denke, die inhaltlich herausragendste Besonderheit ist die Art der Ausgestaltung, also die Schnittstelle zwischen den rechtlichen Rahmenbedingungen und den psychotherapeutischen Bedingungen. Wir sagen, dies ist eine „justiznahe Arbeit“. Heruntergebrochen auf die Arbeit der PsychotherapeutenInnen, bedeutet dies, mit der psychotherapeutischen Arbeit auf Persönlichkeitsveränderungen mit nachhaltiger Entwicklung abzuzielen. Wenn wir mit einem Täter arbeiten, wird dieses therapeutische Angebot erst einmal gemacht. Zum anderen gibt es eine absolute Einigkeit darüber, dass ein Risikomanagement, also eine Arbeit an aktuellen, aber auch zurückliegenden Risiko- und Schutzfaktoren im Rahmen unserer Arbeit angeboten wird, auch wenn wir hierbei nicht von „Psychotherapie“ im engeren Sinne sprechen und auch in vielen Fällen wenig Therapiemotivation bzw. Veränderungsmotivation vorliegt. Das ist für die PsychotherapeutenInnen manchmal ein bisschen schwierig, aber die Ausgestaltung dieser Doppelrolle, die man in der Forensik einnimmt, muss man bei uns auf diese Weise lernen. Es geht demnach um den Wechsel zwischen Kontrolle und Therapie, also dem was auch die Maßregel bedeutet, „Sicherung und Besserung“. Ganz danach, was die einzelnen Täter an Arbeitsaufwand erfordern oder an Möglichkeiten mit sich bringen. Die Nähe zur Justiz und der Opferschutzgedanke beschreiben als Haltung unsere Arbeitsweise.


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Sabrina Sengle: Können Sie ein konkretes Beispiel Fallbeispiel schildern, um diese Herausforderungen in der täglichen Arbeit darzustellen?