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Therapeutische Hilfe für Betroffene von Gewalt- und Sexualstraftaten nun auch in Pforzheim

Am 20.11.2021 wurde die erste Außenstelle der Opfer- und Traumaambulanz von BIOS-BW in Pforzheim eröffnet. Lesen Sie hier die feierliche Rede von Prof. Dr. Thomas Hillecke zur Begrüßung der Schirmherrin Katja Mast, MdB.

Herzlich Willkommen und danke dafür, dass Sie trotz der schwierigen Rahmenbedingungen heute hier sind.


Lassen Sie mich das anhand von Leitfragen skizzieren:


Warum ist die Arbeit von BIOS-BW und die Unterstützung von geschädigten Menschen so wichtig?

Legt man wissenschaftliche Daten zugrunde, dann werden 26% der Männer und 18% der Frauen in ihrem Leben mit einem traumatischen Stressor konfrontiert und zwischen 0,4 und 2,1% Männer und 2,2 bis 3,2 % der Frauen entwickeln in ihrem Leben eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Dabei sind Kinder und Jugendliche ebenfalls betroffen.

Das bedeutet, dass jedem von uns hier ein gewisses Risiko anhaftet eine traumatische Erfahrung zu machen und ein kleineres, danach eine sehr schwerwiegende psychische Störung zu entwickeln.


Welches sind die häufigsten traumatisierenden Erfahrungen oder auch Stressoren? Die häufigsten Stressoren dabei sind:

  • Körperliche Angriffe,

  • Schwere Unfälle (M>F),

  • Zeugenschaft eines traumatischen Ereignisses einer anderen Person (M>F),

  • Sexueller Missbrauch in der Kindheit (F>M)

Bestimmte Erfahrungen führen eher zu einer Postraumatischen Belastungsstörung! Ein Studie von Maerker (2008) ergab eine gemittelte bedingte Wahrscheinlichkeit eine PTBS zu entwickeln (bei einem im Lebenszeitraum vorliegenden Ereignis) von 12% für ein Vollbild und zusätzlich 12,8% für partielle PTBS-Syndrome. Die größte Wahrscheinlichkeit ergab sich bei

  • Vergewaltigungen (37,5%),

  • gefolgt von Kindesmissbrauch (35,3%) und

  • lebendbedrohlichen Erkrankungen (23,4%) (Maerker et al. , 2008, S. 584).

Was bedeutet das für Baden-Württemberg? Bezogen auf Referenzdaten aus BW kann man schätzen, dass pro Jahr

  • 1.200 bis 1.300 – schwere Sexualstraftaten: Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellem Übergriff im besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge die polizeilich registriert wurden, vorkommen und

  • 24.080 Fällen von Gewaltkriminalität, was eine erhebliche Anzahl überlebender Opfer mit dem Risiko psychische Traumafolgeerkrankungen zu entwickeln bedeutet.

Das heißt, dass in BW mehr als 25.000 geschädigte Menschen von schweren Straftaten pro Jahr zu erwarten sind. Um diese mit früher psychotherapeutischer Hilfe vollständig zu versorgen, müsste Baden-Württemberg in der Lage sein 250.000 (bei 10 h) Therapiestunden anzubieten – man bräuchte dazu mehr als 270 Vollzeittherapeuten oder mehr als 15 Millionen € pro Jahr. Wie sinnvoll wäre eine solche Investition? Trotz des zunächst sehr hohen Wertes wäre das, wenn dadurch ein erheblicher Teil schwerer Traumafolgestörungen zu vermeiden wäre, eine sinnvolle Investition.

  • Einer Studie von Prof. Jörg Fegert (2015) zufolge entstehen in Deutschland allein 11 Milliarden € Folgekosten durch Kindesmisshandlung, sexuellen Missbrauch und Vernachlässigung. Auf den Bevölkerungsanteil von Baden-Würrtemberg (11,1 Millionen) umgerechnet wäre das ca. 1,5 Milliarden €.

  • => Das allein wären 100 mal mehr Folgekosten als eine flächendeckende frühe Hilfe kosten würde!

  • Dabei sind die anderen Straftaten, Gewaltstrafttaten, die zu Geschädigten führen, als Kostenfaktor noch nicht mitgerechnet.

  • Als Folgekosten werden in solchen Studien Arbeitslosenunterstützung, Kriminalitätsfolge- und Therapiekosten für PTBS und weitere psychische, psychosomatische und somatische Erkrankungen, Rehabilitation, frühzeitige Rentenbegehren…

Das wichtigste aber ist das Leid der Betroffenen,

  • Intrusionen, Flashbacks, sozialer Rückzug, Depression, Angst usw. über lange Zeit in ihrem Leben (Postraumatische Belastungsstörungen, Depressive Störungen, Angststörungen, Suchterkrankungen, Somatoforme Störungen, Persönlichkeitsstörungen und Störungen des Sozialverhaltens neben somatischen Folgen.)

  • Häufig sehr langfristige nicht einfach zu therapierende Folgeproblme.

  • Nicht zu vergessen auch, dass Menschen durch solche Erlebnisse aus dem Leben gerissen werden uns insbesondere jungen Menschen Lebenschancen geraubt werden.

Hilft Psychotherapie bei akuter Traumatisierung? Den ärztlichen Leitlinien also der Zusammenfassung der wissenschaftlich-empirischen Evidenz zufolge ist es keine Frage, dass bestimmte Formen von Psychotherapie nicht nur bei Traumafolgestörungen sondern auch als frühe Hilfe Sinn machen (S2k-Leitlinie). Was ist die Rolle der Traumaambulanzen? Traumaambulanzen sollen im Rahmen des SGB XIV Psychotherapie als frühe Hilfe anbieten. Ziel dabei ist es geschädigten Menschen dabei zu helfen in einem sicheren Raum und Rahmen und ernstgenommen eine Anlaufstelle zu bieten. Therapeutisch geht es darum ihnen dabei zu helfen, dass sich aus ihren Erfahrungen und Belastungen keine mittel- oder langfristigen Traumafolgeerkrankungen entwickeln! Was ist Rolle der Opfer- und Traumaambulanz von BIOS-BW? Die in Karlsruhe bestehende Opfer- und Traumaambulanz behandelt jährlich bereits ca. 100 bis 200 Klienten/Patienten/Geschädigte. Sie wird dabei unterstützt vom Landkreis Karlsruhe, von der AOK und von BIOS-BW. Ein Ausbau im Sinne des SGB XIV ist aber nur durch die verlässliche Finanzierung des Landes und des Bundes möglich. Auf diesen gilt es politisch hinzuarbeiten. BIOS-BW bereitet sich umfassend auf diese Aufgabe vor:

  • Konsequente Einstellung von kompetentem Personal (PsychotherapeutInnen, Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen)

  • Vorhalten von Infrastrukturen im Sinne eines multizentrischen Angebotes mit vielen Standorten, damit die Hilfe zu den Menschen kommt.

  • Aufbau einer Traumaausbildung gemeinsam mit der DeGPT, der deutchsprachigen Gesellschaft für Psychtraumatologie, das im Januar mit dem ersten Durchgang startet.

  • Einem Team von erfahrenen SupervisorInnen

  • Usw.

Wir freuen uns sehr, mit der OTA in Pforzheim den nächsten Schritt zur Versorgung von Geschädigten Menschen gehen zu können. Wir sind besonders dankbar für die politische Unterstützung von Frau MdB Kaja Mast, welche die Schirmherrschaft der Einrichtung übernommen hat. Prof. Prof. Dr. Thomas Hillecke Therapeutische Leitung Behandlungsinistiative Opferschutz (BIOS-BW) e.V.


 

Hinweis: Auch die erste Außenstelle der OTA in Pforzheim ist zur Terminvereinbarung für KlientenInnen fernmündlich erreichbar über die Zentrale in Karlsruhe unter der Rufnummer: 0721669 82 089 oder per E-Mail unter: ota@bios-bw.de.

 
 

Auszüge aus der Berichterstattung der Presse:

BNN-Kurier-PZ. Eröffnung OTA-PF.Presseberichte-2021-11-25
.pdf
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